Der unaufhaltsame Aufstieg von Nigel Farage und seiner rechtspopulistischen UKIP-Partei geht in die nächste Etappe.
Noch vor dem endgültigen Ergebniss der englischen Kommunalwahlen triumphierte Nigel Farage Freitag früh: “Wir sind nicht nur eine Protestpartei. Die Leute wählen UKIP dafür, wofür wir stehen!” Bei den Kommunalwahlen in England hat Farage mit seiner rechtspopulistischen UKIP “United Kingdom Independence Party” (UKIP) dutzende Gemeinderatsmandate ergattert – die Koalitionsparteien Tories und Liberaldemokratenverloren Wählerzustimmung. Die oppositionelle Labourparty legte zwar zu, viele Proteststimmen aber gingen zu UKIP.
Der derzeit unaufhaltbare Aufstieg von Nigel Farage geht in die nächste Etappe. Seit 2006 ist der leutselige Exbanker UKIP-Chef. Schon sein Vater war Banker und Alkoholiker – auch der 49jährige Sohn schaut gern tief ins Glas, nutzt dies aber für sein volksnahes Image – er trinkt gern Bier im Pub und hetzt gegen Immigranten und Europa. Das Konzept scheint richtig: UKIP hat zwar keine Gemeinden erobert, aber doch fast ein Viertel der Stimmen. Und diese Wahlen waren bloß der Anfang. 2014 könnte UKIP bei den EU-Parlamentswahlen stärkste britische Fraktion werden. Bisher haben die Euroskeptiker 11 der 73 britischen Sitze. Und 2015 könnten sie bei den nationalen Wahlen als dritte Kraft zum Zünglein an der Waage zwischen Tories und Labour werden. Heute sind sie im “House of Commons”, dem Parlament, noch nicht einmal vertreten.
Für David Cameron ist diese Entwicklung bitter. Der konservative Premierminister hat bereits im Jänner ein Referendum zum Austritt aus der EU bis spätestens 2017 versprochen. Cameron wollte damit den Europaskeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Passiert ist das Gegenteil: UKIP, die einen Austritt aus der EU forciert, gewinnt an Popularität.
Labour-Chef Ed Miliband hat ebenfalls wenig zu lachen – die Sozialdemokraten haben zwar erfolgreich die Labour-Gemeinde South-Shields verteidigt, die sein Bruder David gerade verlassen hat, um in Amerika einen Charity-Fonds zu führen. UKIP gräbt vornehmlich den Tories das Wasser ab. Viele Protestwähler aber geben ihre Stimme nicht dem moderaten Miliband, sondern dem rabiaten Farage. Sollte UKIP bei den EU-Wahlen 2014 stärkste Partei werden, dann wird sich auch der Labour-Chef dem Ruf nach einem EU-Referendum nicht entziehen können.
Europa darf sich daher ein bisschen fürchten. Die Wirtschaftskrise in der Eurozone und in Großbritannien schafft echte Armut in der Bevölkerung. Die “EU-Bürokratie” ist der bequemste Sündenbock. Die Gefahr, dass ein EU-Referendum damit enden könnte, dass die Briten für den Austritt stimmen, ist durchaus realistisch: “Der Gründungsgedanke der europäischen Vereinigung nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutet den jüngeren Generationen nicht mehr viel. Selbst der Kalte Krieg gerät bereits in Vergessenheit”, meint Lord Peter Mandelson, ehemals einflussreicher Labour-Politiker und EU-Kommissar. Heute verstärkt er das proeuropäische Camp in London. Bei einem Lunch mit Auslandskorrespondenten schimpft er auf David Camerons Referendumsstrategie: “Es ist doch aberwitzig, jetzt ein EU-Referendum anzukündigen, wo in Europa Chaos herrscht.”
Wie wahren Verlierer aber sind die Briten selbst. UKIP bringt alles mit, was Rechtspopulisten auch anderswo schon jahrezehntelang geboten haben: Fremdenhaß, EU-Phobie, beim Wirtschaftsprogramm heilloses Durcheinander (UKIP-Boss Nigel Farage plant jetzt angeblich, statt der bisher angedachten “Flat tax” von 25% doch lieber ein Zweiklassensteuersystem einzuführen. Entschieden hat er sich aber noch nicht und Parteiprogramm gibt es kein richtiges.) Mit UKIPs xenophober Ideologie schneidet sich die Insel ins eigene Fleisch: Die Briten profitieren immens vom Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit 500 Millionen Menschen. Und die Einwanderer sind enorm wichtig als Innovatoren und Erneuerer in der von Tradition und Klassendenken verkrusteten konstitutionellen Monarchie.
Zudem sind die überhaps nominierten Kandidaten der schnell expandierenden UKIP-Partei oft entweder rechtsradikal oder nur doof. Der 22jährige Alex Wood, Kandidat in Somerset, wurde mit Hitlergruß abgelichtet. (Farage musste ihn suspendieren. Wood hatte zu seiner Entschuldigung gemeint, er habe nur deshalb den Arm gehoben, weil er seiner Freundin das Telefon aus der Hand nehmen wollte.)
Mit dem Aufschwung von UKIP droht Großbritannien auch strukturell ein politisches Erdbeben: Zum ersten Mal seit dem Krieg gibt es ab 2015 eventuell ein Vierparteien-System. Das wäre noch nicht schlimm.
Doch UKIP wildert in angestammten Tory-Gebieten. Der “Spectator” hat in Westminster recherchiert und glaubt: “Mehr als eine Handvoll von Tory-Abgeordneten, sogar ein hoher Hinterbänkler, geben privat zu, dass sie bei den EU-Wahlen UKIP wählen werden, um ihre eigene Partei in eine euroskeptischere Position zu zwingen.” Auch das Oberhaus in Westminster kann sich dem Charme der xenophoben UKIP-Slogans nicht entziehen. Im “House of Lords” sitzen bereits drei, die UKIP angehören. Sie sind von den Tories übergelaufen.
See also:
http://www.spectator.co.uk/features/8901181/ukip-vs-the-world/