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Zar Putins Scheidung

Ach was, Putins Ehe mit Ludmila ist zerbrochen? Das inszenierte Interview nach dem gemeinsamen Ballett-Besuch in Moskau am 6. Juni überrascht die wenigsten. Putin hatte seine Ludmila seit Jahren nur noch einmal im Jahr zum Kirchenbesuch oder zu seinen Inaugurationen mitgenommen. Gerüchte besagen, er habe bereits zwei Kinder mit seiner Freundin oder zweiten Frau Alina Kabajewa, einer ehemaligen Gymnastikerin, die seit 2007 als Abgeordnete in der Staatsduma sitzt. Die 30jährige in Uskbeistan geborene Russin tritt nicht in der Öffentlichkeit mit dem 60jährigen Putin auf. Wer darüber schreibt, muß um seinen Job fürchten. Der inzwischen in Ungnade gefallene Medien-Oligarch Alexander Lebedew sperrte 2008 lieber gleich die ganze Zeitung zu, als der “Moskowski Korrespondent” über Kabajewas und Putins Liason berichtet hatte.

Die Scheidungs-Episode am 6. Juni war das Finale der 15. Saison der großen Fernsehsaga “Zar Putin”. Immerhin ist Putin das erste russische Staatsoberhaupt seit Peter dem Großen 1698, das im Amt eine Ehe quittiert. Als er als Premierminister 1999 antrat waren die Medien nicht auf Kremllinie, es gab noch Berichte über sein Privatleben und über politische Intrigen. Seitdem aber ist die Darstellung Putins die Priorität für Kreml-Strategen. Da wird nichts dem Zufall überlassen.

Putins und Ludmilas Töchter Masha, 28, und Katja, 26, durften als Erwachsene nicht einmal fotografiert werden. Bei einem Dinner in Moskau sah ich Masha einmal mit ihrem holländischen Ehemann am Nebentisch sitzen – ihre Name aber wurde hinter vorgehaltener Hand gezischt, offiziell waren weder sie noch ihr Mann anwesend. Putin ist Gerüchten zufolge seit einem knappen Jahr Großvater - aber auch auf diese Rolle legt er wenig Wert. Die staatlich kontrollierten Medien zeigen ihn lieber beim Fliegen mit Kranichen als beim Schieben eines Kinderwagens.

Sein Privatleben ist aber nur eine Facette. Der wahre Putin ist auch sonst der unsichtbare Putin. Mit wem er schläft, ist ja an sich egal. Viel wichtiger ist, was Putin sonst noch so treibt, wenn er angeblich das Land regiert. Offiziell ist er Präsident – die Medien stellen ihn als fordernden, effizienten Landesvater dar, der auch Güte zeigt und gerne mal einem einfachen Arbeiter eine Luxusuhr schenkt. In Wahrheit aber stagniert Russland. Der Mangel an tiefgreifenden Reformen und die grassierende Korruption läßt den immensen Reichtum Russlands an Öl und Gas verpuffen. Gerade wieder beweist sich das System der Kleptokratie an der Planung des Olympischen Spiele 2014. Von den 38 Milliarden Euro Kosten sind etwa 23 Milliarden in dunkle Kanäle geflossen, glaubt der Oppositionelle Boris Nemtsow in einem Bericht (siehe: http://www.welt.de/wirtschaft/article116814981/Die-Olympischen-Spiele-der-Korruption-von-Sotschi.html).

Wer kann glauben, dass Putin selbst nicht korrupt ist? Er ist nicht nur Präsident, er ist Profiteur. Aber wer kann das beweisen? Nach unbelegten Angaben des Politologen Stanislaw Belkowski besaß Putin bereits 2008 dreißig Milliarden Euro – als stiller Teilhaber in Ölfirmen zum Beispiel. Die Finanzkrise, behauptete Belkowski, schrumpfte den inoffiziellen Milliardär auf 12 Neunstellige. Offiziell aber verdient Putin bloß schlanke 90.000 Euro im Jahr – das ist sein Gehalt. Auf seinen für Abermillionen ausgebauten Landsitzen residiert er nur, solange er Präsident ist. Aus seinem bisherigen Amtsverständnis zu schließen könnte er seine Präsidentschaft auf lebenslang angelegt sehen.

Offiziell darf Putin bis 2024 im Amt bleiben, weil er ja noch einmal als Präsident antreten dürfte. Eine Amtszeit dauert inzwischen sechs Jahre. Zwischen 2008 und 2012 hat er als Premierminister nur inoffiziell regiert. Doch seine Rechnung wird nicht aufgehen. Er steht sich längst selbst im Weg. Seine Allmacht hat den moralischen Verfall beschleunigt. Im Juli beginnt der Prozess gegen Alexei Nawalni, den Führer der Opposition, der als Anti-Korruptions-Blogger Furore gemacht hat. Nawalni wird im Gefängnis landen wie die Punk-Sängerinnen von “Pussy Riot”. Putin lässt die letzten NGOs zusperren – “bis nächsten Winter wird keine nichtstaatliche Organisation mehr übrig sein”, sagte Putin-Expertin Masha Gessen unlängst bei einer Veranstaltung in London. Die stolze Russin hat gerade beschlossen, Russland ihrer Kinder wegen doch den Rücken zu kehren. (siehe: http://lumiere.net.nz/index.php/masha-gessen-decides-to-leave-russia/)

Kleptokratie und Wirtschafts-Sklerose erschrecken mittlerweile auch gutwillige Putin-Fans. Vor allem, weil die offiziellen Daten nicht für das oberste Management sprechen. Die Wirtschaft wächst viel zu langsam für ein BRIC-Land – 1,1 Prozent im ersten Quartal 2013. Die Kapitalflucht ist erschreckend (20 Milliarden Euro in den ersten vier Monaten von 2013 laut Russischer Zentralbank) und wird gefolgt von den besten Gehirnen des Landes, den jungen Russen, die auf englische Elite-Unis geschickt werden und nicht zurückkommen. Das Land stagniert. Irgendwann wird die Volkswut überkochen.

Die Politologin Nina Khrushcheva spekuliert, Putin habe deshalb Ludmila offiziell gestanzt, um seine Freundin Alina zur “First Lady” machen zu können. Er wolle sich selbst nicht als einsamer Diktator zeigen – so wie einst Stalin, dessen Frau Nadeschda Allilujewa 1932 Selbstmord beging. Eher wolle Putin sich am Modell von Barack Obama orientieren, der mit Michelle eine selbstbewusste, aktive Frau an seiner Seite hat und damit signalisiert, man teile sich die Macht demokratisch mit der Partnerin wie mit dem Volk. (siehe: http://www.project-syndicate.org/commentary/the-reasons-behind-vladimir-putin-s-public-divorce-by-nina-l--khrushcheva).

Ob die konservativen Russen eine Präsidentengattin akzeptieren, die so jung ist wie Putins Tochter? Wir werden sehen. Die Russen verdienen in jedem Fall, den wahren Putin zu sehen bekommen – die Ehefraufrage ist dabei eher eine Nebenfrage der Geschichte. Sonst geht alles so weiter wie bisher und die Russen werden das Finale der 26. Saison von “Zar Putin” abwarten müssen. Dieses aber wird nach Kremlplan erst im Winter 2023/24 gesendet.

 

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© 2018 Tessa Szyszkowitz